Der Widerspruch könnte kaum größer sein: Sie wollen anderen Menschen helfen, doch statt Dank erleben medizinische Fachkräfte und Ärzte Aggressionen und Gewalt. Rücken Rettungswagen mit Blaulicht und Folgetonhorn aus, schießt der Adrenalinspiegel nicht nur wegen des Notfall-Einsatzes in die Höhe. Wir nehmen seit Jahren ein deutliches Zunehmen von Aggression dem Gesundheitspersonal aber auch Gesundheitsexperten, Feuerwehr und Polizei/Security gegenüber wahr. Sie werden vermehrt Opfer von verbaler und körperlicher Gewalt und werden brutal attackiert. In der Corona-Pandemie war es besonders schlimm. Was kommt als Nächstes? Was ist mit unserer Gesellschaft passiert?
Tagesaktuell: Polizisten wollten Streit in Wien-Favoriten schlichten und wurden wüst beschimpft und Schaulustige hindern Einsatzkräfte an Erster Hilfe.
Beschimpfung, Beleidigungen bis Morddrohungen
„Feuerwehr, Rettung und Polizei müssen Schaulustige vom Unfallort fernhalten und werden dafür beschimpft und beleidigt. Gaffer, Besserwisser, ungeduldige Passanten, die Straßensperren wegräumen, weil sie unbedingt am Einsatzort vorbei müssen. Das Rettungspersonal muss Hupkonzerte über sich ergehen lassen, wenn sie beim lebensrettenden Einsatz die Unfallstelle absperren – das ist fast schon Einsatzalltag.
„Die oft ehrenamtlichen Helfer:innen machen nur ihren Job, Gefahren für Leib und Leben abzuwenden und Schäden zu minimieren. Zu den oft belastenden Einsätzen kommen dann auch noch Enttäuschung und Verwunderung dazu“
Gründe für die Stigmatisierung und Angriffe sind neben der Angst auch Wut und Trauer über den Tod von Familienmitgliedern, für den immer wieder Gesundheitspersonal verantwortlich gemacht wird. Auch Hass und Gewalt im Netz nimmt weiter zu“, erklärt Karl Svoboda, geschäftsführender Obmann vom Samariterbund Favoriten.
Furcht vor Gewaltdrohung und tätlichen Übergriffen
Ein funktionierender Staat ist abhängig von seinen Helfer:innen – doch kaum einer dankt es ihnen. Viele machen sich Gedanken, was ihnen ganz persönlich am Einsatzort widerfahren könnte. Sie sehen sich seit Jahren Situationen ausgesetzt, in denen sie um die eigene körperliche Unversehrtheit fürchten müssen.
„Notärzt:innen und Sanitäter:innen arbeiten seit Jahren unter erschwerten Bedingungen. Desinfektion von Rettungswagen und das Anziehen von Schutzanzügen kosten auf der einen Seite Zeit, auf der anderen Seite „ist die Arbeit darin extrem schweißtreibend“
Das Aggressionspotenzial auch gegenüber Polizei, Wachpersonal und Feuerwehren steigt. Andererseits haben bestehende Missstände im Gesundheitssystem und dadurch auch das Konfliktpotenzial weiter zugenommen.
Mehr Respekt und mehr Unterstützung gefordert
„Für viele Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialbereich gehört es zunehmend zum beruflichen Alltag, dass ihnen Aggressivität entgegen schlägt.
„Sie beeinträchtigt das gesamte Gesundheitssystem, untergräbt die Qualität des Arbeitsumfelds und wirkt sich auf die Qualität der Patientenversorgung aus. Helfer genießen den besonderen Schutz unserer Gemeinschaft.“
Gewalt hat Auswirkungen auf die körperliche und mentale Gesundheit und führen dazu, dass sie ihre Arbeit nicht oder nur eingeschränkt durchführen können – und das oft in ohnehin überlasteten Gesundheitssystemen. Betroffene verlieren Spaß an ihrem Beruf und viele denken bereits an einen Berufswechsel nach. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Burnout“, sagt auch Dr. med. univ. Andreas Bendtsen, Gruppenarzt & Medizinischer Leiter des Samariterbund Bildungszentrums Favoriten
Grundsätzlich unterscheiden wir vier Gefährdungsstufen:
- Stufe 0
Normale bzw. kontroverse Einsatzsituation, z. B. Patientenversorgen, Räumung eines durch Brandrauch gefährdeten Bereichs - Stufe 1
Verbale Aggression, z. B. Patient bzw. Patientin verweigert die Versorgung, Person leistet den Anweisungen der Einsatzkräfte nicht Folge, Beschimpfung, Sachbeschädigung z. B. an der Ausrüstung der Einsatzkräfte - Stufe 2:
Körperliche Gewalt, eindeutige Bedrohung / Nötigung der Einsatzkräfte, z. B. aktives Widersetzen / Behindern bei einer Versorgung / Einsatzmaßnahme, Schubsen, Treten, Beißen, Anspucken, Eindringen in den RTW zur „Patientenbefreiung“, Manipulieren der Löschwasserversorgung - Stufe 3:
Einsatz von Waffen / Werkzeugen gegen die Einsatzkräfte, Amoklauf, Geiselnahme, Überfall. Die Häufigkeit der Ereignisse von Stufe 0 zur Stufe 3 hin nimmt deutlich ab. Spätestens ab Gefährdungsstufe 2 muss gelten: Die Sicherheit / Konfliktlösung muss von der Polizei sichergestellt werden.
Tipps und Infos für Helfer:innen
Es ist wichtig, präventiv tätig zu sein. Potentielle Opfer sollen sensibilisiert werden. Wenn möglich soll man keine Dienstkleidung im öffentlichen Raum tragen. Als Beispiel wird eine Sanitäter-Uniform genannt. Mit dieser gesehen zu werden birgt also offenbar ein erhöhtes Risiko. Bei Privat-Fahrzeugen sei darauf zu achten, „keine auf einen Gesundheitsberuf bezogenen Plaketten und andere Hinweise sichtbar im Auto anzubringen“. Schilder wie „Arzt im Dienst“ oder „Rettungssanitäter“ sollen also nur wenn das unbedingt notwendig ist hinter der Windschutzscheibe platziert werden. Auch auf die sichtbare Deponierung von Berufskleidung im Auto soll verzichtet werden.
„Es gibt spezielle Schulungen des Personals in Deeskalation, Kommunikation und Selbstschutz. Einsatzlagen, etwa Feste mit vielen alkoholisierten Besuchern, sollten frühzeitig identifiziert werden als Orte, an denen Gewalt droht“
Für den Fall des Falles ist es aber sinnvoll, auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Mit der Initiative „Tatort Arbeitsplatz“ wird rasche Hilfe angeboten. Hier einige Tipps und Infos zum Thema Hilfe für Betroffene bei Gewalt. Vor allem die Dokumentation von Gewalttaten gegen Rettungskräfte sollte konsequent erfolgen – und deren Weiterleitung an Strafverfolgungsbehörden. Die Sensibilisierung des Gesundheitspersonals für Gewalt wird im Wiener Programm für Frauengesundheit besonders deutlich gemacht. Auch die Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) hat die Zunahme von Gewalt gegen Personal und Einrichtungen des Gesundheitswesens scharf verurteilt. Sie fordern eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Gewalt am Arbeitsplatz.
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Links:
- Gewalt gegen Gesundheitspersonal: „Ich wurde schon geschlagen, geschubst und bespuckt“ | ZEIT ONLINE
- Aggressive Patienten – 6 Tipps für brenzlige Situationen | pflegen-online.de
- Wenn sich Aggression und Gewalt gegen Pflegekräfte richtet
- Gewalt gegen Pflegekräfte: Was Betroffene tun können | Medi-Karriere
- Gewalt gegen Gesundheitspersonal in Österreich – magazin.pflegenetz.at
- Gewalt gegen Ärzte (bmi.gv.at)
- Gewaltschutz im Gesundheitswesen | Pflege Professionell (pflege-professionell.at)
- Nein zu Gewalt im Gesundheits- und Sozialbereich | Arbeiterkammer Oberösterreich
- Retter und Helfer werden immer mehr zur Zielscheibe – damit muss Schluss sein (pressetext.com)
- Retter und Helfer werden immer mehr zur Zielscheibe – damit muss Schluss sein! (mimikama.at)
- Prävention gegen Gewalt und Aggression (dguv.de)
- Informationen zur Gewaltprävention in Österreich (sozialministerium.at)
- Gewaltschutz im Gesundheitswesen pichler_et_al.pdf (oeph.at)
- Rettungsorganisationen unter Druck
- Aggression und Gewalt mittlerweile Berufsalltag im Gesundheitswesen | Österreichische Ärztekammer, 27.04.2018 (ots.at)
- Gewalt gegen Rettungskräfte: Ursachen und Lösungen | Medi-Karriere
- gewalt_in_der_pflege.pdf (fhv.at)
- Gewalt gegen Rettungsdienstpersonal | Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz (springer.com)
- Samariterbund: Wenn die Seele Hilfe braucht
- Leitfaden für Gewaltschutz für Hausärzte
Lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Feiern wir verantwortungsbewusst, unterstützen wir einander und zeigen wir den Rettern den Respekt, den sie verdienen.
- Samariterbund Wien – Helfen wir gemeinsam
- WirÜbernehmenVerantwortung
- Samariterbund: Mehr als Tatü Tata
- News • sam4u (samariterbund.net)